Text: Detlev Herbst Fotos: Ortsheimatarchiv Volpriehausen Layout & Gestaltung: Harald Wokittel
Kriegsende und Befreiung
Die letzten Kriegstage am Bollert
Nach der Einstellung des Salzbergbaus in Volpriehausen übernahm die deutsche Wehrmacht pachtweise die Doppelschachtanlage Wittekind-Hildasglück. In den Jahren 1937 bis 1940 ließ sie beide Bergwerke zu einer untertägigen Heeresmunitionsanstalt (Muna Bw) zur Lagerung umbauen. Die Lagerkapazität unter Tage betrug bis zu 30.000 t Munition. Ab 1942 ließ sie in dem gegenüber liegenden Waldstück am Bollert ein Fertigungsgebiet (F-Gebiet) zur Fertigung von leichten Artilleriegeschossen erbauen.
In der Silvesternacht 1944 kam es erstmals zum Abwurf einer Luftmine über dem Fertigungsgebiet. Dabei wurden Teile des Munitionsarbeitshauses 1 zerstört. Personen kamen dabei nicht zu Schaden.
Am 25. März 1945 überflogen amerikanische Aufklärungsflugzeuge Volpriehausen zur weiteren Erkundung des Geländes der Heeresmunitionsanstalt und des Fertigungsgebiets. Drei Tage später bombardierten alliierte Flugzeuge die Heeresmunitionsanstalt. Die Bomben verfehlten allerdings ihr Ziel und schlugen in der Nähe des Sportplatzes in der Talstraße und neben dem Grundstück Peters in der Bollertstraße ein. Dort wurde auf der Veranda der vierjährige Bernd Kohrs auf dem Arm seiner Mutter von Splittern tödlich getroffen. Weitere Bomben gingen in der Schachtstraße in unmittelbarer Nähe der Baracken für polnische und sowjetische Zwangsarbeiterinnen nieder, die in der Heeresmunitionsanstalt arbeiteten.
Unmittelbar nach diesem Bombardement leitete die Führung der Heeresmunitionsanstalt erste Maßnahmen zur Schließung und Evakuierung der Anlage ein. In den ersten Apriltagen wurden kampffähige Soldaten des Wachpersonals zu einer Kampftruppe mit leichter Bewaffnung zusammengestellt. Sie sollten am Bollert eine gesicherte Lagerstellung errichten und die Ankunft der „feindlichen Truppen“ erwarten. Ältere Offiziere und das Stammpersonal wurden entlassen. Sie sollten sich nach Hause absetzen. Die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen wurden sich selbst überlassen. Die Förderanlagen beider ehemaliger Bergwerke wurden außer Betrieb gesetzt, um das Eindringen von Plünderern zu verhindern, und geheime Akten verbrannt. Im Untertagebereich der Muna lagerten zu dieser Zeit noch etwa 15 bis 17.000 Tonnen Munition.
Anfang April wurden bei einem weiteren Angriff alliierter Flugzeuge Brandbomben in den Garten der Villa Albrecht und auf das Grundstück Warnecke in der Schachtstraße abgeworfen, wo ein riesiger Bombenkrater entstand. Auch diese Bomben galten vermutlich der Vernichtung der Heeresmunitionsanstalt.
Zwischen dem 2. und 4. April 1945 wurde das Außenkommando des Jugend KZ Moringen auf dem Gelände der Muna aufgelöst. Einige der ca. 100 dort untergebrachten Jugendlichen erhielten Einberufungsbescheide, andere wurden nach Moringen zurückgebracht. Eine kleine Gruppe geriet auf einem „Evakuierungsmarsch“ bei Lochtum in amerikanische Gefangenschaft.
Angesichts des bevorstehenden Einmarsches amerikanischer Truppen wurden in der Bollertstraße unterhalb der Böschung gegenüber der Gastwirtschaft Anthon Schützengräben ausgehoben und Jugendliche und im Dorf verbliebene ältere Männer mit Uniformen und Gewehren versehen. Sie sollten als Volkssturm, als letztes Aufgebot, die heranrückenden amerikanischen Truppen aufhalten.
Die Ankunft amerikanischer Truppen
Am 9. April rückten zwei deutsche Tiger Panzer von Uslar nach Volpriehausen vor. Sie bezogen auf der Bollertstraße nahe der Abzweigung Schachtstraße Stellung, um den weiteren Vormarsch der amerikanischen Truppen aufzuhalten. Nach längeren Verhandlungen gelang es Bürgermeister Warnecke zusammen mit mehreren Einwohnern, die Panzerbesatzungen von der Sinnlosigkeit ihres Vorhabens zu überzeugen. Die beiden Panzer setzten sich daraufhin nach Espol in Bewegung. Bereits am Tag zuvor war in Gierswalde in der Nähe des Meinteberges ein deutscher Panzer von seiner Besatzung aufgegeben worden.
Der Vormarsch der Amerikaner kündigte sich deutlich vernehmbar an. Von Wiensen her erfolgte heftiger Artilleriebeschuss. Mehrere Granaten schlugen in der Nähe der Schule und auf den angrenzenden Wiesen ein. Dabei wurde David Bönig nahe dem Frickeschen Hof in der Bollertstraße tödlich verletzt.
Das 1st Bn (Battalion) des amerikanischen 18th Infantry Regiments hatte im Morgengrauen des 09.04.1945 bei Beverungen die Weser überquert und erreichte einen Tag später um 9.27 Uhr Volpriehausen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Mehrere Panzer, Panzerspähwagen und Jeeps blieben in Volpriehausen und sicherten die Straßenkreuzung an der Bollertstraße, die übrigen Fahrzeuge und Mannschaften setzten den Vormarsch in Richtung Hardegsen fort.
Der Einmarsch wurde von einem tragischen Missverständnis mit tödlichem Ausgang überschattet. Als der Schmied Friedrich Hinze mit einem Handwagen die Bollertstraße entlang ging, kamen ihm amerikanische Soldaten entgegen. Er verstand wohl die Aufforderung stehen zu bleiben nicht und wurde erschossen, als er in einem Schützengraben Deckung suchen wollte.
Am frühen Nachmittag bezog das 18th Combat Team der 32 D Field Artillery bis zum frühen Abend Stellung bei Volpriehausen, bevor es seinen Vormarsch nach Northeim fortsetzte.
Die Lage im Dorf
Zur Unterbringung der Soldaten im Ort beschlagnahmte die amerikanische Militärregierung die früheren Direktorenvillen des Kaliwerks und die Gebäude der Heeresmunitionsanstalt. Danach begann man mit dem Aufbau einer funktionsfähigen entnazifizierten Verwaltung. Der seit 1939 amtierende Bürgermeister Wilhelm Warnecke wurde abgesetzt und bis 1947 im Lager Sennelager interniert. Als neuer Bürgermeister wurde Walter Goldschmidt aus Hannover eingesetzt. Ihm folgte schon im Sommer Heinrich Borchers nach.
Nach dem 10. April fand kein Schulunterricht mehr statt. Der Schulleiter Johr und der Lehrer Abich wurden wegen Zugehörigkeit zur NSDAP aus dem Schuldienst entlassen. In den unteren Räumen der Schule wurde ein amerikanisches Lazarett eingerichtet. Während der Nacht herrschte im Dorf allgemeine Ausgangssperre. Ausnahmen waren nur auf Antrag zugelassen. Die Einwohner durften den Ort nur mit einer besonderen Reisegenehmigung verlassen.
Im Juni 1945 verließen die Truppen des 18th Infanterie Regiments Volpriehausen, da der Landkreis Northeim nun zur britischen Besatzungszone gehörte. Aus Magdeburg rückte das zweite Bataillon der Royal Scots Fusiliers in die Landkreise Göttingen und Northeim vor. Soldaten dieses Bataillons kamen auch nach Volpriehausen. Sie fanden Unterkunft in den früheren Direktorenvillen und im Gasthaus „Sollinger Wald“.
Etwa zur gleichen Zeit übernahmen Angehörige der 76 Depot Control Company, die in Hänigsen stationiert war, die Bewachung der Anlagen der früheren Heeresmunitionsanstalt und begannen mit der Bergung der unter Tage lagernden Munition und Kunstschätze. Dennoch kam es wiederholt zu Plünderungen. Einheimische und ehemalige Zwangsarbeiter drangen in den Untertagebereich des Bergwerks ein, wo neben Munition Kunstschätze, Werkzeug und vor allem lange entbehrte Lebensmittel und Zigaretten und Spirituosen in größeren Mengen lagerten.
Der Zustrom befreiter sowjetischer und polnischer Zwangsarbeiter verstärkte sich infolge starker Zuwanderung aus dem Weserraum. Sie wollten ursprünglich in ihre Heimat zurückkehren, warteten dann aber in Volpriehausen bei Landsleuten ab, wie sich die unsichere politische Lage in ihren Heimatländern weiter entwickelte. Allein die Zahl polnischer Zuwanderer wuchs auf über 200 Personen an. Da sich darunter auch zahlreiche Kinder befanden, wurde im oberen Stockwerk der Volksschule eine polnische Schule eingerichtet, in der bis Oktober 1945 polnische Kinder unterrichtet wurden. Der Schulunterricht für deutsche Kinder wurde erst am 1. November 1945 wieder aufgenommen.
Im Dorf kam es wiederholt zu Ausschreitungen gegenüber der deutschen Bevölkerung, zu Diebstählen, Einbrüchen und zu bewaffneten Überfällen. Aber auch zwischen Polen und Sowjetbürgern gab es immer wieder Auseinandersetzungen. Bei einem dieser Vorfälle wurden zwei namentlich nicht bekannte Sowjetbürger erschossen. Ihre Gräber befinden sich auf dem Volpriehäuser Friedhof. Zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung genehmigte die amerikanische Militärverwaltung bereits unmittelbar nach Kriegsende die Aufstellung einer unbewaffneten Hilfspolizei aus Dorfbewohnern.
Ein Russe, wohl ein ehemals kriegsgefangener Offizier, der gut Deutsch sprach und sich ein Wehrmachtsmotorrad und eine Pistole besorgt hatte, versuchte immer wieder mäßigend auf seine Landsleute einzuwirken. Er wurde von ihnen als Autorität anerkannt. Auch die Dorfbewohner waren ihm dafür dankbar, dass er sich für ihren Schutz einsetzte. Im Dorf war er nur unter dem Namen „General Bumm-Bumm“ bekannt, da er im Notfall schnell seine Pistole zückte und Warnschüsse abgab.
Am 29. April 1945 flogen zwei Focke-Wulf 190-Kampfflugzeuge der deutschen Luftwaffe, von Berlin kommend, in friedlicher Absicht auf das Dorf zu, um zu landen. Eine der Maschinen steuerte der Volpriehäuser Artur Kielhorn, der in seinen Heimatort zurückkehren wollte. Als die Flugzeuge zur Notlandung ansetzten, wurden sie von amerikanischen Panzerspähwagen und Flak beschossen. Kielhorn gelang es, seine Maschine wieder hochzuziehen und auf einem Acker bei Nörten-Hardenberg eine Bauchlandung zu wagen. Er geriet dort in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Die zweite Maschine stürzte westlich von Ertinghausen ab. Der Pilot konnte sich mit dem Fallschirm retten und geriet ebenfalls in Kriegsgefangenschaft.
Quellen: Bericht von Zeitzeugen
Literatur: Detlev Herbst 750 Jahre Volpriehausen Aus der Geschichte unseres Dorfes Göttingen 1983
18th Infantry Journal April 1945 o.O. 1945
18th 1st Bn Journal April 1945 o. O. 1945
Meyer, Heinz Damals, der Zweite Weltkrieg zwischen Teutoburger Wald, Weser und Leine Preußisch Oldendorf 1981
Schulchronik Volpriehausen 1904-1954